Wenn ich auf einen See schaue, oder einen Teich, dann versuch ich es mir auch immer umgekehrt, also im Negativ, vorzustellen – es ist der Wasserkorpus, der sich aktiv, in sich flexibel verformbar, in die gerade zufällig passende, passierende Landschaft legt und sie dann zurecht schleift. Die Flussarme greifen davon ausgehend dann über zu einem nächsten Wasserwesen und lassen sich umspinnend gehen, bis zum Meer. Schwellen hoch und nieder und schleusen Räume. So ähnlich ist es auch in meinem Körper – nur ist es da viel geheimer, denn ganz selten nur kann ich auf die Blutoberfläche, an das Flussnetz in der feingesponnenen Landschaft unter meiner Haut blicken. Manchmal pocht es in den Ohren, wie das Rauschen in einer Muschel, die wieder in den Ozean will oder manchmal spür ich es wie einen Donnerschlag im Gesicht – von einer Hand eines überschwappenden Menschen oder einer Begebenheit, die mich wo tief berührt, dass die Blutschleusen dort ganz drinnen plötzlich geöffnet werden – und infolgedessen bis in die kleinsten Gefäße schon weit an der Oberfläche hinauf darf deren Transportgut rot blinken. Wir brauchen immer mehr Stoff dort. Manche Äderchen haben sich bis ganz knapp unter die letzte Hautschicht geschwungen und glänzen, zum Beispiel an einem feinen Sommertag am Strand, von meinem Oberschenkel lahm pulsend der Sonne entgegen. Wenn ich zu meinem neuen Lieblingslied tanze, ist es so, als wär ich wie eine Landkarte von meinem eigenen Stück Land, die ich in Wellen bewege, eben so wie man eine Papier-Seite im Schul-Atlas bewegen kann, nicht immer faltenlos. Mit jeder neuen Biegung an meinem Leib, verändere ich die Landschaft: Neue sich auffaltende Gebirgszüge als kleine Fettgletscher, Täler dazwischen, die mit salzigem Schweiß oder warmen Dampf gefüllt sind, erschließen sich der Neugierde meines Gegenübers im zweisamen Tanzwinden. Und darunter, Schicht um Schicht verzahnt – dann entzahnt, die Blutlaufbahnen, pulsierend, unverrückbar in eine Richtung ausgerichtet. Tun unbeirrt ihren Auftrag, Zirkulationsvirtuosen – das Blut kann seine Runden drehen, egal in welche Form ich seine Umwelt vertanze. Ein Herz in der geographisch festgesetzten, leicht gleitenden Mitte gibt den Takt an, schiebt einen Pulsschlag nach dem andern in das sich bis fast zur Unendlichkeit verästelnde Sprachrohr. Dort weitergetragen von den Schwällen, den rhythmischen Stößen, den beständigen Schlägen bis in jede kleine Zelle – alles wird immer rot, innen. Und bei der kleinsten Zelle angekommen, steht es kurz still, liefert ab was es zu geben hat, nämlich die Bausteine des Lebens, jeden einzeln und stetig, am Nullpunkt. Bis es dann die Umkehrroute einschlägt, um bald den nächsten Durchgang, Durchfluss anzutreten. Als kleines Kind noch viel schneller – das Blut ereilt sonst nicht jeden Wachstumsschritt und -schub und verpasst sonst irgendeine Kanalausfahrt. Dann, erwachsen schmiegt sich die Geschwindigkeit langsam wallend an den Aderwänden durch die Ziele und bleibt hin und wieder sich selbst versammelnd, sein Umfeld anschwellend, ausdehnend an einer Kreuzung stehen. Es ist rot, dort seh ich dich, bei 37 Grad im Windschatten deines Halsschlageraderschlages oder eben abends dann. Es ist wie bei einem Lied: Zuerst beginnt der Paukenschlag, der schon wie in einer Wiege die Natur des Stücks schaukelt. Wenn das Kind dann sprechen kann, kommt der Text ins Spiel, bis es am Ende wieder verstummt, ausklingt, verhallt. Der Puls ist messbar, in Zahlen pressbar, die Befindlichkeiten begrenzwerten. Das Stethoskop meines Vertrauens ist noch immer ein lebensgroßes, samtiges Ohr, in das sich meine Brustwarze trichtern kann. Es hört hin wie ich bin. In den dunklen Herzkammern werden die Botschaften gedichtet, verdichtet, um dann ganz dicht hintereinander von dort ausbrechend losgeschickt zu werden, wie Nachrichten in großen Bankhäusern per Rohrpost. An jedem letzten Tag wird dann eine letzte Botschaft in die Blutumlaufbahn geschickt, eingepflanzt, ausgesetzt, den Wellen überlassen, die dann schlussends verebben. Denn dort wo an der Haut der Puls sichtbar, spürbar ist, wird mit jedem Schlag eine Stoßwelle losgeschickt ins Universum, die trägt, was du in dir trägst, hinaus. Verdichtet dort die Luft ein bisschen, den Korpus der Durchsichtigkeit und formt dessen Tanz.